[Gelesen] The Glass Town Game

Stell dir vor du würdest das erste Mal in deinem Leben einen Zug sehen und anders als normal fährt dieser nicht in die nächste Ortschaft, sondern ins Land deiner Fantasie, und du könntest einsteigen – was würdest du tun? Für die vier Brontë Geschwister Charlotte, Branwell, Emily und Anne fällt die Entscheidung leicht und so verschlägt es sie in The Glass Town Game von Catherynne M. Valente in ein Abenteuer, in dem neben Napoleon, verräterische Bücher und wandelbare Koffer noch so einiges mehr auf die Leser wartet.

The Glass Town Game

Triste Aussichten

Dank ihrer zeitlosen Bücher wie Jane Eyre, Sturmhöhe oder Die Herrin von Wildfell Hall  dürften den meisten die Brontë Schwestern ein Begriff sein. In Valentes Buch lernt man sie allerdings als Kinder kennen, deren Aussichten nicht besonders rosig sind: Als Töchter eines Pfarrers ist die Laufbahn als Gouvernante fast unausweichlich, die Mutter und zwei ältere Geschwister verstorben, und für die Emily und Charlotte steht das neue Schuljahr im verhassten Internat an. Ihrem Bruder Branwell stehen gefühlt alle Türen offen, wobei er unter den Erwartungen an sich fast erdrückt wird. Wie wunderbar ist es da, dass sie dank einem, ja, magischem Zug nach Glass Town geraten – dem Land, für das sie sich die tollsten Abenteuer in ihrem Spielzimmer ausgedacht haben.

Zwischen den Fronten

In The Glass Town Game vermischen sich immer wieder Fantasie und Wirklichkeit. So fantastisch es ist, die selbst erdachte Welt mit eigenen Augen sehen zu können, so schnell werden die Geschwister wieder auf den Boden der Tatsachen geholt: Es herrscht Krieg zwischen Glass Town und dessen Nachbarland Gondal, und die Brontës finden sich plötzlich mittendrin. Bevor es wieder zurück nach Hause gehen kann, müssen erst diverse Hindernisse überwunden werden, wobei sich beide Länder mit unglaublichen Details und Einfallsreichtum zeigen. Dies wird nicht zuletzt dadurch unterstützt, dass sich im ganzen Text verstreut immer wieder Hinweise auf die wirklichen Brontës, ihre Werke und Zeitgenossen finden. Und tatsächlich haben sich die Brontë Geschwister als Kinder die Länder Angria und Gondal ausgedacht, und von Emily Brontë sind unter anderem die Gondal Poems überliefert.

Die Zitrone im Tee

The Glass Town Game ist mit über 500 Seiten für die Altersstufe 10+ zwar ein ganz schöner Brocken, aber mir kam das Buch nie zu lang vor. Irgendwie war ich immer gespannt, was hinter der nächsten Ecke auf den Leser wartet und wie sich die Geschwister aus der nächsten brenzligen Situation retten werden. Dabei habe ich aber immer auf das gewisse Etwas gewartet. So unterhaltsam es auch war, die Geschichte an sich ist sehr simpel aufgebaut und braucht recht lange, bis alles ins Rollen kommt. Und leider ist nicht ganz klar, für wen Valente hier schreibt. Die Anspielungen an die Pseudonyme Currer und Ellis Bell zum Beispiel dürften den meisten jüngeren Lesern nicht auffallen, wohingegen ältere Leser zum Teil wegen der Gestaltung des Buches nicht dazu greifen werden. In ihren Danksagungen geht Valente zwar kurz darauf ein, dass hier die wirklichen Geschwister Pate gestanden haben, aber ein Nachwort oder zumindest kurzes Register am Ende hätte das ganze zu einem schöneren Leseerlebnis gemacht. So wirkte es, als würde ein gemeinsames Lesen von Kindern und Eltern das Ziel sein… schade, zumindest ein kurzer Verweis auf die Hauptwerke der Schwestern hätte möglich sein können. Für Brontë Liebhaber ist dieses Buch aber definitiv ein Geheimtipp.

„Good gracious, we haven’t got time for a ball,“ Charlotte scoffed. „My brother and sister have been kidnapped by a book!“ | Seite 215

The Glass Town Game


Weitere Eindrücke zum Buch gibt es bei The BiblioSanctum und The Bibliophibian.


BUCHDETAILS | ANZEIGE

Verlag: Simon & Schuster
Illustrationen: Rebecca Green
ISBN: 9781481476966
Erscheinungsdatum: 05.09.2017
Rating: 3.5/5