Faszination Geschlechtertausch und ein Abend im Theater

Habt Ihr Euch schon mal so sehr in eine Geschichte verliebt, dass Ihr sie gar nicht gehen lassen wolltet? Sei es der Film oder die Serie, die zu ende gesehen, oder Bücher, die ausgelesen sind – manchmal will man mehr oder einfach andere Szenarien für die Charaktere. Eine Möglichkeit dafür sind Fanfiction, die es gefühlt für und über alles gibt. Ich habe immer wieder Phasen, in denen ich sehr intensiv Fanfiction lese und ich glaube ein Großteil meiner Faszination mit Archetypen bzw. Tropen rührt daher. Es gibt so einige Schlagwörter, über die man in diesem Bereich immer fällt -OTP oder AU beispielsweise- und eines davon ist genderswap oder auch genderswapping. Damit gemeint ist das Auswechseln des Geschlechts eines Charakters im Vergleich zum Kanon, also ein Geschlechtertausch. Der Geschlechtertausch kann einen Charakter auf neue Art und Weise beleuchten oder die Stereotypen und Regeln, die die Gesellschaft in Bezug aufs Geschlecht entwickelt hat, hinterfragen (oder zumindest den Spiegel vorhalten). Samantha Field hat mit the awesome power of the gender swap einen tollen kleinen Artikel dazu geschrieben, welcher sich unter anderem auf Fanfiction bezieht, aber auch in Filmen wird dieses Stilmittel genutzt, siehe das Ghostbusters Remake oder Ocean’s 8. Warum nicht ebenfalls im Theater?

Trailer der bremer shakespeare company, Quelle: https://www.shakespeare-company.com/repertoire/dorian-gray

Die bremer shakespeare company hat aktuell wieder Das Bildnis des Dorian Gray im Programm, welches Thematiken wie Beeinflussung, Jugendwahn, Schönheit und Moralvorstellungen aufgreift. Wilde’s einziger Roman ist mein liebster Klassiker, und allein das hätte schon ausgereicht, um mich zum Besuch einer Aufführung zu bewegen – der Clou bei dieser Inszenierung ist allerdings, dass ein Geschlechtertausch vollführt wird. Statt Lord Henry Wotton ist es Lady Henry Wotton, auf welche Dorian in Basil Hallwards Atelier trifft.

Verführerische Schlange

In der Pause habe ich mir bereits einiges an Notizen gemacht, denn die Inszenierung hat gerade durch den Geschlechtertauschs einiges an neuen Aspekten für mich aufgeworfen. Da ist einmal das Offensichtlichste: Frauen spricht man eher die Rolle der Verführerin zu, und Lord Henry ist definitiv das: Ein Verführer. Basil und er, das hat immer etwas von Engelchen und Teufelchen auf Dorians Schulter. Im Stück wurde das ganze noch mehr unterstrichen durch die Kleidung der Darstellerin der Lady Henry -enge Handschuhe, die sie ständig an- und auszieht wie eine Schlange, die sich häutet; Lederartige Hosen, die etwas von Schuppenoptik haben; glatt zurückgegelte Haare-, die mich immer wieder an die Schlange im Garten Eden erinnert hat -was umso passender ist, wo die Szene im Atelier selbst ganz klar an diesen anspielt- bzw. an die Figur des Mephisto. Henry hat generell eine eigene Art der Körpersprache gehabt, welche später sogar von Dorian gegenüber Basil imitiert wird und nur noch mehr ihre Rolle als Mentorin unterstreicht.

Der Geschlechtertausch kommt neben dem großen, nicht-kanonischen Tausch aber bedingt durch die Besetzung noch weitere Male vor: Die Schauspielerin der Sybil Vane spielt auch deren Bruder, der Schauspieler des Basil ist gleichzeitig der Ehemann der Lady Henry. Diese Entscheidung fand ich generell interessant, weil es in die Affäre, die zum großen Teil zur Scheidung führt, eine neue Note bringt und es natürlich noch andere Auswirkungen hätte, wenn Lady Henry auch mit einer Lady verheiratet gewesen wäre… wobei dafür vermutlich die Besetzung nicht optimal war mit zwei Männern und zwei Frauen.

In Szene gesetzt

Das Bühnenbild ist recht karg und wird durch das Spiel mit Licht und Schatten durch bespannte Elemente erst lebendig. Allein das Malen des Gemäldes oder der erste Auftritt Sybils, deren Schattentanz an Louis Fuller erinnert, waren großartig, aber auch Dorians Alptraum zu Beginn des zweiten Akts wirkt sehr intensiv und war mit den beweglichen Elementen super choreographiert: Die Charaktere sprechen durch das Bild zu Dorian, verhöhnen und jagen ihn, Sybil und Henry tanzen einen Totentanz und immer wieder schallt Märchenprinz durch den Raum und verfolgt jenen. Wo der erste Akt jedoch noch leicht nachvollziehbar ist, gibt es im zweiten zu viele Szenenwechsel und vergangene Zeit, was es für Nicht-Kenner des Buches etwas schwieriger macht dem ganzen zu folgen. Allgemein fand ich die zweite Hälfte etwas schwächer, wobei mir einfach der Handlungsstrang um Sybil mit am meisten gefällt und dieser halt zu dem Zeitpunkt durch ist.

Das Bildnis des Dorian Gray

Ähnlich wie in der Inszenierung des English Theatre Frankfurt in 2016 sehen wir das Gemälde im Theaterstück nicht, sondern nur einen leeren Rahmen. Ich mag diese Entscheidung und fand die Zwiegespräche und das Finale herrlich gut gespielt. Die Schauspielerin von Sybil Vane bekommt hier eine dritte Rolle, wenn sie Dorian mehr oder weniger in den Tod bettet und als Erzähler sein Auffinden beschreibt – poetisch, oder?

Diese Inszenierung war nicht ganz so modern wie die in Frankfurt, wo ja doch stark der Narzismus der Generation Selfie aufgegriffen wurde und der Dorian auch nackt wie eine griechische Statur für sein Bildnis posierte. Durch den Geschlechtertausch ergab sich aber ein tolles Wechselspiel in der Chemie der Charaktere und den Werkzitaten. Egal, wie frei man sich versucht von Vorurteilen und Klischees zu machen, eine gewisse geschlechterspezifische Prägung hat man dann doch und Das Bildnis des Dorian Gray eignet sich famos dafür dies zu untersuchen. Mir hat diese Inszenierung dazu direkt Lust auf eine gemacht, wo Dorian selbst einmal weiblich ist – ich könnte mir gut vorstellen, dass dadurch noch mehr Doppeldeutigkeiten und Nuancen aufkommen könnten.

Empfindet Ihr den Geschlechtertausch ebenfalls als spannendes Stilmittel oder absolut unnötig?

Ein Gedanke zu “Faszination Geschlechtertausch und ein Abend im Theater

Mit dem Verfassen eines Kommentares akzeptiere ich die Datenschutzerklärung und habe sie gelesen. Hiermit bin ich damit einverstanden, dass die E-Mail-Adresse, der angegebene Name und die IP, sowie die freiwillige Angabe der URL gespeichert werden.

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..