Von Bildnissen und Geschlechtertausch: Doreen

Retellings sind im englischsprachigen Raum ein ganz großes Thema. Dabei gibt es Geschichten, die sehr gerne und häufig umgesetzt werden, und welche, nach denen man sehr lange sucht… so ein Fall war für mich Doreen von Ilana Manaster. Mit diesem Buch versucht sich die Autorin an einem Retelling zu Das Bildnis des Dorian Gray von Oscar Wilde, welches nicht nur in die Gegenwart verfrachtet wird, nein, alle Hauptcharaktere wechseln zusätzlich die Geschlechter. Ob das gut gehen kann?

Gelesen | Doreen

Geschlechtertausch

Statt die Londoner Gesellschaft als Hintergund, ist es in Doreen eine amerikanische Privatschule, an der wir uns befinden. Hier teilen sich Heide und Biz ein Zimmer, und genau dort beginnt die Handlung mit einer Unterhaltung der Beiden darüber, dass Biz‘ Cousine Doreen neu an die Schule kommen wird. Das unscheinbare, ja fast hässliche Mädchen wird nach seinem Eintreffen für das schulinterne Netzwerk von Biz fotografiert und dieses Foto vorm Ausdrucken noch digital bearbeitet: Tada, da haben wir das Bildnis, und von dort an hangelt sich Manaster stark an den Hauptpunkten der Vorlage ab.

Eine große Stärke dieses Retellings ist auf jeden Fall der Geschlechtertausch, da dieser eine andere Dynamik zwischen den Charakteren erlaubt. Was motiviert Heidi, Doreen so unter ihre Fittiche zu nehmen? Wie ändert sich das Machtgefüge, auch in Hinblick darauf, das alle fast im gleichen Alter sind? Wirkt die Episode mit den Vane Geschwistern anders, wenn die Rollen getauscht werden? Hat der Tausch eventuell sogar gar keine Auswirkungen? Zwar fand ich ein paar Entscheidungen von Manaster etwas zu klischeehaft, aber die Überlegungen und Spielereien machen Spaß!

Motivationen und Abgründe

Zwar ist Das Bildnis des Dorian Gray nicht ein komplett obskurer Klassiker, aber trotzdem muss Manaster die Geschichte auf eine Art und Weise erzählen, die für Nicht-Kenner der Vorlage nachvollziehbar ist. Statt sich ganz auf Doreen und das Bildnis zu konzentrieren, ergänzt die Autorin die Geschichte daher um Heidis Hintergrund und Antrieb: Statt aus dem Adel wie ihr Gegenstück in der Vorlage entstammt sie der Unterschicht, und hat sich ihren Weg nach oben in der Gesellschaft der Schule hart erkämpft. Sie bietet sich Doreen nicht ohne Hintergedanken als Mentorin und Freundin an, während Biz fast noch entrückter wirkt als Basil selbst. Dadurch geht zwar etwas die Engelchen/Teufelchen-Dynamik der Beiden verloren, Heidi tritt aber mehr in den Vordergrund und dient als Identifikationsfigur, die auch erkennt, wenn es ab einem gewissen Punkt zu weit geht.

Doreen macht den selben Werdegang wie Dorian im Original durch, wobei manche Taten nur angedeutet und andere abgeschwächt behandelt werden. Es gibt einige Lücken, wo sich der Leser die Ereignisse denken darf, während der Verfall des Bildnisses immer weiter voranschreitet. Die deutlichste Abschwächung ist dabei, dass es in Doreen zu keinen Todesfällen kommt – das mag an der Zielgruppe liegen, zumindest einen Vorfall hiervon hätte Manaster meiner Meinung nach aber beibehalten sollen, um den Verfall ihrer Protagonistin zu verstärken.

Originell oder altbacken?

Sei es, das Simon Vane für die Sportmannschaft spielt oder Biz statt den Pinsel die Kamera schwingt: Manaster hat in Doreen einige spannende Umsetzung der Vorlage in die Gegenwart in petto, welche den Roman sehr kurzweilig machen. Es gibt sicherlich noch zig andere Handlungsorte, die man nutzen kann, aber die Privatschule als in sich geschlossenes System funktioniert sehr gut und alle wichtigen Eckereignisse lassen sich eingliedern. Gerade bei Heidi kommt Manasters eigene Note durch, und diese ist teilweise doch recht klischeehaft. Können Mädchen oder Frauen nicht einfach mal Freundinnen sein ohne Konkurrenzkämpfe und Zickenkrieg?

She was a fascinating person, that Doreen Gray. | S. 183

Schönheit und sexuelle Beziehungen stehen stark im Fokus, was sich teilweise mit der etwas umständlichen Sprache beißt, die Manaster nutzt. Vielleicht hätte es da doch gut getan, sich noch etwas weiter von der Vorlage zu entfernen – oder dem ganzen mehr Seiten zu gönnen. Vor allem das Ende unterscheidet sich recht stark von der Vorlage, und ist definitiv Geschmackssache. Als Spielerei gefällt mir Doreen aber furchtbar gut – gerade, da ich den Geschlechtertausch schätze, um neue Facetten freizulegen. Denn egal, ob im Retelling, Theater oder im Klassiker: Der Charakter von Dorian Gray ist und bleibt absolut faszinierend!


Weitere Eindrücke zum Buch findet Ihr bei HighsandBows und Black Plume. Über zwei Theateradaption von Das Bildnis des Dorian Gray habe ich ebenfalls auf dem Blog berichtet, einmal H I E R und H I E R.



BUCHDETAILS | ANZEIGE

HARDCOVER: 336 SEITEN | VERLAG: RUNNING PRESS KIDS (07.06.2016) | ISBN:  978-0762459629 | DER VERLAG EMPFIEHLT DAS BUCH FÜR DIE ALTERSSTUFE 14 BIS 17 JAHRE | MEINE BEWERTUNG: 4/5

Mit dem Verfassen eines Kommentares akzeptiere ich die Datenschutzerklärung und habe sie gelesen. Hiermit bin ich damit einverstanden, dass die E-Mail-Adresse, der angegebene Name und die IP, sowie die freiwillige Angabe der URL gespeichert werden.

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..