Rezensionsexemplar | Was macht einen Menschen zum Gewalttäter? Diese Frage steht im Zentrum von Der rote Apfel, einem Thriller von Mi-ae Seo, in welchem der Leser der Kriminalpsychologin Sonkyong folgt. Völlig überraschend möchte ein inhaftierter Serienmörder mit ihr sprechen, während ihr Privatleben durch den Einzug der Stieftochter über den Haufen geworfen wird. Je mehr sich Sonkyong in der Folge mit der Psyche von Lee Byongdo beschäftigt, desto mehr scheint ihr alles zu entgleiten…
Der rote Apfel klang vom Klappentext her recht düster mit Beschreibungen wie „perfider Serienmörder“, „Killer mit dem zarten Gesicht“, „ungleiche Freundschaft“ und „Abgründe der menschlichen Seele“ – und genau darauf hatte ich auch gehofft. Nicht nur der Klappentext erinnert an Das Schweigen der Lämmer, sondern das Buch selber zieht zwischendurch diese Parallele und Sonkyong wird dabei scherzhaft Clarice von ihren Studenten genannt. Was aber schon etwas Paradox ist? Der Klappentext weicht von dem auf der Innenklappe des Buches ab, und ist inhaltlich auch nicht ganz richtig (Lee sitzt im Gefängnis, nicht der Psychiatrie). Da ich den Text auf der Innenklappe erst später gelesen habe, war mir daher nicht bewusst, dass die Geschichte eigentlich zweigeteilt ist: Wir erleben zwar schon Sonkyongs Untersuchung im Gefängnis, aber halt auch den Konflikt im Privaten mit der Stieftochter.
Auf einmal fürchtete Sonkyong ernsthaft, dass sie der Angelegenheit nicht gewachsen sein könnte. Doch sie wusste besser als jeder andere, dass sie keinen Rückzieher machen durfte. | Seite 74
Diesen Konflikt fand ich an sich sehr gut gezeichnet, aber ich hatte beim Leser immer wieder das Gefühl, dass die Autorin lieber zwei separate Geschichten daraus hätte entwickeln sollen, statt diese beiden Handlungsstränge auf Teufel komm raus zu verknüpfen. Denn die Parallelen und Bezüge zwischen den Handlungen werden dem Leser quasi mit dem Holzhammer aufgezeigt, Überraschungen oder Twists erwartet man vergebens. Nur ist das doch eigentlich genau das, was ich gerne in einem Thriller lesen möchte?!
Was der Geschichte leider ebenfalls nicht hilft, ist Sonkyong als Charakter. Sie wird am Anfang als eine gut ausgebildete und kompetente Kriminalpsychologin eingeführt, die im weiteren Verlauf aber immer wieder grobe Schnitzer begeht und außer den paar Gesprächen mit Lee nicht wirklich mit der Polizei zusammenarbeitet. Sie lernt auch nicht aus ihren Fehlern, sondern provoziert die Gegenparteien nur noch mehr und lässt sich von der zehnjährigen Stieftochter nach Strich und Faden manipulieren. Wie passt das zusammen? Eine andere Profession wie freie Journalistin hätte geholfen, sie etwas glaubhafter zu gestalten, wobei sie wenigstens an einer Stelle eine andere Psychologin kurz in einem Telefonat um Rat bittet.
Zwar stellt Der rote Apfel auf den letzten Seiten noch einige interessante, tiefergehende Fragen, aber im großen und ganzen bleibt die Geschichte einfach gehalten und dürfte sich daher gut für Einsteiger ins Genre eignen. Ich fand den Handlungsstrang um die Stieftochter im Endeffekt viel spannender als die Gespräche mit Lee, und hätte mir einen stärkeren Fokus hierauf gewünscht – für einen kurzweiligen Lesenachmittag ist Der rote Apfel aber optimal.
Weitere Eindrücke zum Buch findet Ihr bei KIMONO, Fluchtpunkt Lesen und Empire of Bookz.

Hallo! :)
Das Buch hatte ich auch schon ins Auge gefasst, war mir aber am Ende nicht ganz sicher, ob mich die Geschichte abholen könnte oder nicht – und dank deiner Rezension bin ich nun doch eher auf der Nein-Seite angelangt. Danke dir auf jeden Fall für die ausführliche Besprechung!
Alles Liebe!
Gabriela
[…] Mi-ae Seo: Der rote ApfelFür mich war Der rote Apfel innen etwas faul: Der Klappentext weicht von dem auf der Innenklappe ab, wodurch ich zu Beginn ganz andere Erwartungen an die Geschichte hatte. Seo erzählt zwei Geschichten parallel, und für beide ist nicht genug Raum, um in die Tiefe zu gehen und Überraschungen bieten zu können. Für einen kurzweiligen Lesenachmittag völlig okay, aber sehr einfach gehalten und wahrscheinlich eher was für Einsteiger ins Genre. | Bewertung: 2/5 | Rezension […]