Vielleicht werden Klassiker manchmal absichtlich wunderhübsch gestaltet, um die Hemmschwelle (Klassiker! Häufig dazu noch ein dicker Schinken! Alte Sprache!) zu verringern? Bei der Vintage Classics Russian Series hat das auf jeden Fall geklappt: Ich habe mir gleich die gesamte Kollektion beim Erscheinen 2017 gekauft – ohne mich wirklich mit allen Titeln zu beschäftigen. Seitdem greife ich immer mal zwischendurch zu einem der Bücher, da ich sie doch irgendwann komplett gelesen im Regal stehen haben mag, aber es wären nicht alles Titel gewesen, die ich ohne diese Kollektion in Betracht gezogen hätte. Und dazu gehört auch der gute Doctor Zhivago (dt. Doktor Schiwago) von Boris Pasternak.
Im Vorfeld wusste ich nicht viel über diesen Roman: 1965 gab es mit Omar Sharif und Julie Christie eine beliebte Verfilmung, 2002 wurde mit Keira Knightley eine Miniserie produziert, das Buch selber ist zuerst über Umwege im Ausland veröffentlicht worden und mittlerweile gibt es auch ein Musical. Ich habe eine epische Liebesgeschichte erwartet, sowie das der Doktor im Krieg arbeiten muss und ihn eventuell diese Erlebnisse nicht los lassen. Und das bekommt man auch so halb in Doctor Zhivago, nur nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte?
Der Roman erzählt episodenhaft aus dem Leben des russischen Arztes Juri Andrejewitsch Schiwago zwischen 1901 und 1929. Pasternak gibt einen Eindruck von seiner Kindheit und Jugend, wie es der Familie eigentlich recht gut in Moskau geht, und wie die Lage sich mit der Revolution dreht und es ins Hinterland geht. Schiwago wird immer wieder von seiner Familie getrennt, und reflektiert viel über Revolution, (Bürger-)Krieg und Natur, unter anderem in Gedichten, die er verfasst, und welche man im letzten Abschnitt des Buches findet. Als wären die gesellschaftlichen Veränderungen dabei nicht schon genug, so kommt Schiwago auch einfach nicht von seiner Geliebten, Lara Antipowa, los, und ihre Wege kreuzen sich immer wieder auf kuriose Art und Weise.
In such moments it was as if he, too, let the shafts of the light pass through him. […] But the immediate, the actual, went on, in Russia there was the October revolution, he was a prisoner of the partisans. | Seite 308
Ich konnte mit Schiwago als Protagonist nicht viel anfangen. Er wirkte unglaublich passiv auf mich, und in seinen Liebesbeziehungen unglaublich kühl. Ja, er denkt zwischendurch mal an seine Ehefrau, seine Kinder sind für ihn aber nur ein abstrakter Begriff und statt etwas zu unternehmen, harrt er der Dinge, die da kommen. Der Mittelpunkt seiner Welt scheint Lara zu sein, aber ehrlich gesagt habe ich da auch null gespürt? Pasternak lässt teilweise Leerstellen, wo man sich Dinge denken muss, und irgendwie habe ich für mehrere Kapitel dadurch total verplant, das die Affäre endlich angefangen hat. Was ich dagegen weiß, weil es immer wieder erwähnt wird: Lara ist hübsch und attraktiv. Toll. Das Schiwago am Ende für keine seiner Frauen und Kinder einsteht, führen wir mal gar nicht weiter aus.
Da der Roman fast dreißig Jahre abdeckt, kommt Schiwago natürlich viel rum und es gibt diverse Episoden, die einem einen Eindruck von den Geschehnissen und Lebensumständen geben. Beispielsweise fährt die Familie von Moskau aus mit einem Zug in den Ural, und das war wahrscheinlich mein liebster Abschnitt, da man hier sieht, wie die Revolution sich außerhalb der beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg ausbreitet. So praktisch diese Episoden bzw. kurzen Kapitel aber sind, so haben sie auch zwei Knackpunkte: Zum einen gibt es recht viele Episoden und Charaktere, die gefühlt gar keine Rolle spielen, und zum anderen wird es dadurch schwieriger einen Spannungsbogen zu halten. Und wenn man den Protagonisten nicht mag, wäre so ein Spannungsbogen schon nicht schlecht… Mir war fast die gesamte Lektüre über langweilig. Zuerst habe ich auf die Liebesgeschichte mit Lara gewartet, dann darauf, dass Schiwagos Ehe implodiert oder einfach irgendetwas in seinem Privatleben ihn mal wachschüttelt – aber nada.
Handlungsstränge, die mich gereizt hätten, verlaufen eigentlich immer sofort im Sand und viele Episoden hätte man meiner Meinung nach auch einfach streichen können. Wahrscheinlich wäre es ein anderer Eindruck, wenn ich Doctor Zhivago nicht allein zum Vergnügen gelesen hätte, aber so kann ich diesen Klassiker einfach nur abhaken und werde mich in kurzer Zeit nicht mehr an den Inhalt erinnern. Die Hintergrundgeschichte zum Roman mag spannend sein, aber die des Romans hat mich leider nicht abgeholt – hoffentlich ergeht es mir mit Life and Fate, dem letzten Band in dieser Kollektion, da besser. Und wer weiß, vielleicht ist Doctor Zhivago auch einer dieser Klassiker, bei der mich eine der Adaptionen eher mitreißen kann. Genug Auswahl in dem Bereich gibt es ja.
Weitere Eindrücke zum Buch findet Ihr bei Lesestunden und Bette Davis left the Bookshop.

