Gothic Horror meets New Adult Thriller: Verity von Colleen Hoover

Obwohl Colleen Hoover immer wieder in der Kritik steht –beispielsweise aufgrund mangelnder Triggerwarnungen, toxischer Beziehungsdarstellungen oder einem problematischen Malbuch-, verkaufen sich ihre Bücher wie geschnitten Brot und sie ist gerade im New Adult Bereich kaum wegzudenken. Meistens sprechen mich ihre Handlungen nicht wirklich an, und die Titel, die ich bisher von ihr gelesen habe, haben mich auch nicht vollends vom Hocker gehauen… Von einer Freundin hatte ich jetzt aber ein Leseexemplar von Verity weitergereicht bekommen, wo mich die Ausgangssituation direkt angesprochen hat: Die mäßig erfolgreiche Autorin Lowen Ashleigh wird engagiert die letzten Bände einer Buchreihe als Ghostwriterin zu schreiben, da die eigentliche Autorin Verity Crawford nach einem Unfall im Wachkoma mit wenig Chance auf Besserung liegt. Bei der Sichtung von Veritys Materialien stolpert Lowen über ein Manuskript, das ihr den Boden unter den Füßen wegzieht und die Ereignisse in Veritys Leben in ein recht düsteres Licht rücken.

Colleen Hoover: Verity

Trigger-/Contentwarnungen für Verity: Autounfall, Verkehrsunfall, physische Verletzungen, Blut/-vergießen, psychische Krankheit, Tod eines Elternteils/Kindes, (versuchter) Mord, versuchter Selbstmord, Kindesmisshandlung, Vernachlässigung von Kindern, Schwangerschaftsabbruch, Untreue, Misshandlung in der Ehe, Gaslighting, graphischer sexueller Inhalt, Gewalt, Somnambulismus

Von Chronikern und Schicksalsschlägen

Was man vielleicht direkt vorwegnehmen sollte: Es ereignen sich in Verity haufenweise unschöne, teils traumatische Dinge, und Hoover hätte hier sicher an der ein oder anderen Stelle drauf verzichten können. Das fängt schon direkt zu Beginn an, als Lowen einen Verkehrsunfall miterlebt und in Folge dessen das erste Mal Jeremy begegnet. Theoretisch hätte es das nicht gebraucht, sondern sie hätten sich auch so durch beispielsweise einen Zusammenstoß im Café begegnen können… Was ich aber direkt gut fand ist, dass die Handlung recht zügig zum Haus der Crawfords führt: Vom Angebot der Ghostwritertätigkeit bis zu Lowens Eintreffen im Haus vergehen nur gut X Seiten. 

„Haben Sie schon mal den Ausdruck ‚Chroniker‘ gehört?“, fragt er. […] „Menschen, in deren Leben sich in chronischer Regelmäßigkeit Tragödien ereignen. Ein schreckliches Ereignis nach dem anderen.“ | S. 41

Mich hat das Haus und die Stimmung darin sofort an Klassiker wie Jane Eyre oder Rebecca erinnert. Die Crawfords haben in kurzer Zeit beide Töchter sowie indirekt ja auch Verity verloren, und Jeremy versucht eine neue Art der Normalität für den verbliebenen Sohn zu schaffen. Verity lebt zwar weiterhin mit im Haus, und ist zwar nicht unterm Dach weggesperrt wie Bertha Rochester, aber gerade je mehr sich Jeremy und Lowen annähern, desto unangenehmer wird ihre Anwesenheit.

Die verschiedenen Seiten von Verity

Bei der Durchsicht von Veritys Arbeitsmaterialien stößt Lowen zwar leider nicht auf einen ausgearbeiteten Plan für ihre noch ausstehenden Bücher, dafür aber auf ein Manuskript ihrer Autobiographie. Peu à peu liest man sich als Leser gemeinsam mit Lowen durch dieses, und erlebt zwei, wenn nicht sogar drei verschiedene Veritys: Die Verity im Wachkoma, die Verity, wie sie sich gegenüber Jeremy präsentiert hat – und die innere Verity mit all ihren wirklichen Gedanken und Gefühlen.

 Je mehr Lowen liest, desto mehr beeinflusst es ihre Sicht auf die Personen im Haus. Nicht zuletzt, da Verity von Kapitel zu Kapitel abscheulichere Dinge zu berichten weiß, während Lowen sich zu Jeremy immer mehr hingezogen fühlt. Dazu kommt, dass Lowen teilweise das Gefühl hat, das Verity sie beobachtet oder Dinge bewegt hat – was einer Wachkomapatientin jedoch rational gar nicht möglich sein kann. Wie sich diese Angespanntheit langsam unterschwellig einschleicht, hat beim Lesen wirklich großen Spaß gemacht!

Team Manuskript oder Team Brief?

Abgesehen von den Enthüllungen, die das Manuskript dem Leser als auch Lowen gibt, stößt es auch eine interessante Fragestellung an: Inwiefern kann man Menschen wirklich kennen bzw. wonach sollte man sie beurteilen? Lowen kennt Verity nur durch ihr Schreiben: Ihre fiktiven Werke kann sie nicht berücksichtigen, das Manuskript dagegen soll autobiographisch sein. Eine Autobiographie ist allerdings a) immer noch subjektiv, und b) gibt es für Lowen wenig Möglichkeit den Text auf seinen Wahrheitsgehalt gegen zu prüfen. Präsentiert es also die Wahrheit oder eine verdrehte, manipulierte Sicht?

Es gibt keinen einzigen Menschen, dessen Inneres wirklich liebenswert ist, und im Idealfall sollte nach Beendigung einer Autobiografie ein unbehagliches Gefühl der Abneigung gegenüber dem Autor oder der Autorin zurückbleiben. Ich werde liefern. | S. 75

Was die Einordnung nicht leichter macht: An einigen Stellen lügt Jeremy offensichtlich, und ein Brief stellt Ereignisse ebenfalls in einem anderen Kontext dar. Man kann sich am Ende selbst hinterfragen, welcher Version der Ereignisse man Glauben schenkt, und ob nicht vielleicht jeder der Charaktere auf seine Art schuldig oder unschuldig ist – Hoover hat da wirklich einen guten Abschluss für die Geschichte von Verity gefunden! Zwar gibt es mittlerweile noch einen zusätzlichen Epilog, aber diesen würde ich hier bewusst ausklammern, da er meiner Meinung nach die Ambivalenz des Endes unterwandert und dadurch keine sinnige Ergänzung zur Geschichte ist? Ich bin mir ziemlich sicher, dass Hoover diesen ohne die Collector’s Edition auch nicht verfasst hätte… Persönlich tendiere ich eher zum Manuskript, wobei Jeremy Lowen durchaus manipuliert und Lowen zwar merkt, dass ihr Handeln falsch ist, sie sich aber trotzdem zu gern von ihm einlullen lässt. In all dem Drama haben sich die drei Figuren echt gesucht und gefunden, und da verkrafte ich auch das eine gravierende Logikloch, wenn dafür der Rest stimmt und es zu durchaus schaurigen Momenten führt


 

Colleen Hoover: Verity

 


Weitere Eindrücke zum Buch findet Ihr bei Easy Peasy Books, Lila Blumenwiese und bookishmoonlight.


BUCHDETAILS | ANZEIGE

BROSCHIERT: 416 SEITEN | ORIGINALTITEL: VERITY | ÜBERSETZT AUS DEM AMERIKANISCHEN VON KATARINA GANSLANDT | VERLAG: dtv (13.03.2020) | ISBN: 978-3423230124 | MEINE BEWERTUNG: 4/5

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