Wenn Lily Albrecht eins weiß, dann das das Leben nicht fair ist. Ihr Mann ist an Demenz erkrankt und kann mittlerweile nicht mehr sprechen, Freunde und Familie haben sich abgewandt. Mit Mitte Dreißig kann Lily das nicht kampflos hinnehmen, aber keine der zahlreichen alternativen Heilmethoden will anschlagen… und als Buchhändlerin für antiquarische und rare Bücher kann Lily kaum noch die nötigsten Kosten decken. Umso passender kommt da die Anfrage eines Kollegen, der für einen reichen Sammler nach einem okkulten Buch sucht und Lilys Hilfe hierfür benötigt. In The Book of the Most Precious Substance von Sara Gran folgt der Leser Lily auf ihrer Suche nach eben jenem Titel, wobei jede Etappe die Buchhändlerin mehr und mehr selbst in den Bann des Buches zieht.
Fünf Schritte zum Ziel
The Book of the Most Precious Substance mutet wie eine Schnitzeljagd an, die Lily und ihren Kollegen zuerst quer durchs Land und später noch nach Europa führt. Das Buch kennen Kenner obskurer okkulter Titel häufig nur vom Hörensagen, und selbst dann ranken sich wilde Geschichten und Gerüchte darum – vor allem um das, was das Buch schlussendlich bietet. Fünf Rituale muss man nacheinander durchführen, dann wird man entlohnt. Womit ist dabei genauso fraglich wie teils die Rituale, aber da der Glaube Berge versetzt, sieht Lily hier zum einen eine Chance durch die Vermittlung des Buches aus ihrem Finanztief zu kommen, zum anderen ist sie selbst dem Ausprobieren der Rituale nicht abgeneigt. Die Rituale sind dabei der Knackpunkt, der The Book of the Most Precious Substance etwas speziell macht, denn es handelt sich hierbei um Sexmagie. Gran tanzt dabei aber häufig um den heißen Brei rum (gerade wenn es um die besondere titelgebende Substanz geht), und das Buch ist nicht ansatzweise so explizit, wie man im ersten Moment erwarten würde.
Kopien mit Tücken
Auf ihrer Suche nach einer authentischen, vollständigen Kopie des Buches begegnet Lily einigen sehr kauzigen Sammlern mit ihren Eigenheiten. Gerade diese Treffen waren immer herrlich zu lesen, weil man im Vorfeld immer nicht wusste, was Lily erwarten würde – und welche neuen Hürden daraus erwachsen. Fehlen Seiten? Ist es eine gefälschte Ausgabe? Hat der Sammler überhaupt, was er behauptet zu haben? Gibt es Konkurrenz?
“THIS WAS STARTING TO BE FUN–STRANGE AND WEALTHY MEN BARKING INSTRUCTIONS AT ME, AND ME IGNORING THOSE INSTRUCTIONS. NOT A BAD HOBBY.” | S. 137
Wirklich an die Magie und Rituale glaubt Lily zwar nicht, aber nichtsdestotrotz probiert sie diese aus und gefühlt laufen danach Dinge besser. Ob das jetzt wirklich an Magie liegt oder Lily nur manifestiert und ihre Sicht auf die Dinge ändert, ist die große Frage. Gran schreibt das Buch sehr ambivalent, sodass man als Leser immer leicht verunsichert und am hinterfragen bleibt. Mich hat Lilys Geschichte dadurch immer wieder an Die Neun Pforten erinnert, und ich wollte unbedingt wissen, was geschieht, wenn sie das Buch schlussendlich findet bzw. tatsächlich alle fünf Rituale vollzogen werden.
Am Ende wieder am Anfang
Lily hat mir dabei als Charakter am meisten Spaß gemacht, da sie auf ihrer Suche nach dem Buch regelrecht aufblüht und immer weniger auf die Meinung anderer gibt. Sie ist dabei teilweise herrlich dreist und stößt die Sammler vor den Kopf, die eher mit einer unterwürfigen, duckmäuserischen Frau rechnen. Man merkt, wie sehr sie die Pflege ihres Mannes und die ganze Arbeit da Drumherum vereinnahmt hat und was dafür die vergangenen Jahre auf der Strecke blieb. Lucas, ihr Kollege und Partner für die Buchsuche, ist dabei ein interessanter Gegenpol, eben, weil er kaum Verpflichtungen oder Zwänge hat, aber jede Menge Enthusiasmus für die Sache. Sie gehen eine (zumindest in der Theorie) rein geschäftliche Beziehung ein, für die Suche ebenso wie die Rituale. Teilweise weiß man dabei nicht, auf wessen Seite man als Leser eigentlich stehen mag, und wer von beiden vertrauenswürdig ist, sollten die Rituale tatsächlich zu irgendwas führen.
Bei The Book of the Most Precious Substance ist der Weg das eigentliche Ziel, wobei ich finde, dass Gran ein sehr gutes, wenn auch ernüchterndes Ende findet. Lily und Lucas tauchen beide vollends in die Suche ein, und genauso wie sie wird der Leser mitgerissen. Dabei können manche Ereignisse im Buch übernatürlicher Natur sein, müssen sie aber nicht. Ebenso müssen nicht alle erfüllten Wünsche zu wirklicher Zufriedenheit führen oder alle Fragen beantwortet sein. Vielleicht wäre es sogar für alle Charaktere besser gewesen, wenn Lily und Lucas ihre Suche nie begonnen und manche Fragen nie gestellt hätten – aber dann würde man eine absolut soghafte Lesereise verpassen.
Weitere Eindrücke zum Buch findet Ihr bei Roots & Reads, Bookmunch und Shiny New Books.

Das klingt ja schon echt gut. Wie dubios ist aber die Sexmagie? XD Klingt schon etwas schräg. Ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob es eine smart verkleidete Romance Novel ist!?
Es klingt ohne Kenntnis des Buches schräger als es tatsächlich ist… Sex ist hier wirklich nur Mittel zum Zweck und wird auch nicht sehr ausführlich beschrieben. Ich habe heute auch erst gesehen, dass das Buch übersetzt wurde („Das Buch der kostbarsten Substanz“) und bei Krimis steht ^^