Von verkorksten Beziehungen und traurigen Menschen: Cleopatra and Frankenstein von Coco Mellors 💔

Es ist eine Zufallsbegegnung, die das Leben von Cleo und Frank durcheinanderwirbelt: Beide treffen sich an Silvester 2006 in einem Fahrstuhl in New York. Sie ist eine Kunststudentin Mitte Zwanzig, er ist Inhaber einer Werbeagentur und Mitte Vierzig. Das alte Jahr ist fast zuende und statt zurück auf die Party, die sie gerade verlassen haben, begeben sich die beiden auf einen gemeinsamen Trip zum nächsten Bodega, währenddessen die Funken nur so fliegen. Aus Flirts werden in der Folge Dates, aus Dates wird mehr, und wenige Monate später heiraten die beiden fast schon impulsiv für sowohl die Charaktere als auch Leser direkt im zweiten Kapitel. Ob das die beste Idee war bzw. welche Konsequenzen daraus für Cleo, Frank und ihre Mitmenschen erwachsen, zeigt Coco Mellors in ihrem Debütroman Cleopatra and Frankenstein

Coco Mellors: Cleopatra and Frankenstein
Trigger-Warnungen: u.a. Alkohol- und Drogenkonsum, Depression, Suizid, explizite sexualisierte Gewalt


Greifbarer Hype und Traurigkeit

Cleopatra and Frankenstein ist eines dieser Bücher, um das man gefühlt online in den letzten Monaten kaum herumkommt. Das liegt sicherlich nicht zuletzt an den wunderschönen Frauenporträts von Gill Button, die die Verlage für die unterschiedlichen Coverversionen nutzen – ästhetisch schöne Bücher eignen sich gut für Content, und die Gestaltung ist auch irgendwie meta: Schließlich ist Cleo im Buch ebenfalls Malerin und die Bilder könnten sowohl sie darstellen als auch ihre Kunst. Fast jeder Charakter ist kreativ tätig oder hat das Leben zur Kunstform erhoben, und Mellors schafft es unglaublich gute Sätze zu schreiben, die nur danach schreien markiert und zitiert zu werden. Liebe auf den ersten Blick, (vermeintliche) Seelenverwandtschaft, Kunst, Rausch, Traumata und die pulsierende Großstadt New York  vermischen sich zu einem Cocktail, der einen Nerv trifft, und obwohl viel Traurigkeit bei allen mitschwingt, versinken Cleo, Frank und Co. nie völlig da drin. 

Süchtig nach leben

Was Cleopatra and Frankenstein noch zusätzlich faszinierend macht, ist der Generationskonflikt. Auf der einen Seite sind da die Charaktere Anfang/Mitte Zwanzig, die häufig am Rande des finanziellen Ruins existieren und großen Träumen hinterherjagen – und auf der anderen Seite sind die doppelt so alten, die zwar auch noch kreativ tätig, aber vom Leben und ihren bisherigen Beziehungen völlig desillusioniert sind. Die Interaktionen zwischen den Altersgruppen führen teils zu Reibungen, teil zu urkomischen Momenten und gerade Cleo und Franks Beziehung ist immer wieder ein Drahtseilakt. Jeder hat hier sein Päckchen zu tragen und will mehr von seinem Leben, und auch wenn es den Großteil der Charaktere nicht sympathisch macht, macht es sie allesamt sehr greifbar.


“I don’t understand this obsession with happiness,“ she said. „Happiness is like the Hollywood sign. It’s big, it’s unattainable, and even if you do make it up there, what’s there to do but come back down?” | S. 158


So süchtig die Charaktere nach Anerkennung, Liebe, Erfolg oder Unabhängigkeit sind, so sehr ist leider auch reale Sucht in Cleopatra and Frankenstein ein Thema. Egal, ob Alkohol oder Partydrogen, es wird sehr viel konsumiert und wenig hinterfragt. Franks Entwicklung in der Hinsicht ist ein spannender Teil der Geschichte, aber Mellors hätte das auch sicherlich gut ohne den Exzess auf vielen Seiten vermitteln können. Ich bin gespannt, ob dieser Aspekt bei der Serienadaption des Buches etwas runtergeschraubt wird oder die Macher diesen ähnlich wie bei Skins oder Euphoria konkret darstellen.

Mikrokosmos

Was mir bei Cleopatra and Frankenstein besonders viel Spaß gemacht hat: Obwohl das titelgebende Paar schon irgendwie der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist, gibt es keine klassischen Haupt- und Nebencharaktere. Stattdessen präsentiert Mellors den Personenkosmos um Cleo und Frank herum, der sowohl auf sie Einfluss ausübt als sie auch auf alle anderen. Diese Wechselwirkung fand ich super, und tatsächlich sind die meisten Charaktere abseits von Cleo und Frank viel interessanter als diese. Und auch wenn ich das letzte Kapitel nicht mochte -Mellors bringt hier für meinen Geschmack zu viel kitschiges, glückliches Ende rein für alles davor- werde ich diese verkorksten Menschen irgendwie allesamt vermissen. 


Weitere Eindrücke zum Buch findet Ihr bei Sophie’s Edit, Buchsichten und Buchperlenblog.


BUCHDETAILS | ANZEIGE

TASCHENBUCH: 384 SEITEN | VERLAG: HARPER COLLINS (02.02.2023) | ISBN: 978-0008421793 | DAS BUCH IST MITTLERWEILE AUF DEUTSCH UNTER DEM TITEL „CLEOPATRA UND FRANKENSTEIN“ BEI EICHBORN ERSCHIENEN. | MEINE BEWERTUNG: 4/5

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