Gelesen | Der kalte Hauch des Flieders

Ein Haus, in dem es vermeintlich spukt – das ist genau das richtige Forschungsobjekt für die Parapsychologen Sally und David Curtiss. Für die Dauer von drei Monaten mieten sie sich in das Haus der Familie Gilfoy ein, welches mit einer ganzen Reihe an vermeintlichen übernatürlichen Vorfällen aufwarten kann. Bewaffnet mit allerlei Messinstrumenten, Forschungsmaterialien und wissenschaftlicher Neugier beginnen sie ihren Aufenthalt, der sich nach und nach zu einem wahren Alptraum für das Wissenschaftlerehepaar entwickelt.

Der kalte Hauch des Flieders

Der Roman beginnt neben der Ankunft der Parapsychologen im Haus mit einer Reihe Fragebögen bzw. Augenzeugenberichten früherer Mieter oder Nachbarn: Sie berichten von unerklärlichen Geräuschen in der Nacht, Lichtkugeln, schemenhafte Gestalten im Fenster oder plötzlich auftretender Kälter in einzelnen Räumen. Diese Angaben dienen Sally und David als Ausgangspunkt für ihre Untersuchungen, welche zu Beginn aber eher auf unfruchtbaren Boden fallen. Weder schlagen die Geräte aus, noch können die Beiden selbst irgendwelche Phänomene beobachten. Ein Medium muss her, um die Ereignisse ins Rollen zu bringen, und neben der Geschichte des Hauses rückt immer mehr die Familiengeschichte der Gilfoys in den Fokus.

Der Roman gliedert sich in drei Abschnitte: David, Collin und Sally. Je Abschnitt wechselt die Perspektive, sodass man als Leser jeden der drei Schlüsselcharaktere und seine Position zu verstehen lernt. Hawkes versteht sich dabei meisterlich darauf, die Stimmung des Hauses einzufangen und ähnlich wie David und Sally ist auch der Leser bald fasziniert. Je mehr Zusammenhänge und Ereignisse dabei ans Licht kommen, desto größer wird der Sog und die Wissbegier. Und immer steht die Frage im Raum, wie viel davon wirklich übernatürlich oder Projektion ist. Reagiert Sally auf einige Situationen einfach nur unnötig hysterisch? Drohen sich Momente aus der Vergangenheit zu wiederholen? Sieht David klar, oder ist generell alles ganz anders als gedacht?

Wer ahnte schon, was in so einem alten Haus alles steckte – all die unzähligen Momente, die sich wie bunte Sediumentschichten abgelagert hatten, und darin eingebettet ein Blick, ein Streit, das leise klappern einer Tür? Es übersteigt die menschliche Vorstellung. | Seite 198

Der kalte Hauch des Flieders von Judith Hawkes aus dem Jahr 1989 greift die Begeisterung jener Zeit für die Parapsychologie auf und vermengt sie mit einem klassischen Spukhausszenario. Sally und David beginnen ihren Aufenthalt im vollen Glauben an das Paranormale, wobei Sally selber über telepathische Fähigkeiten verfügt, und David als ihr Gegenpart ohne Fähigkeiten agiert. Je weiter der Sommer und ihre Zeit im Haus jedoch fortschreitet, desto mehr verkehren sich die Rollen. Wo David verzweifelt nach Zusammenhängen sucht und notfalls welche konstruiert, da fängt Sally mehr und mehr an zu zweifeln. Wie viele der Phänomene sind real, was lässt sich mit Logik oder Psychologie erläutern? Haben sich wirklich die Ereignisse im Haus abgelagert und wirken als Echo nach, oder sieht man schlicht das, was man sehen will?

Dieses Wechselspiel an rationalen und irrationalen Momenten findet sich Zuhauf in Hawkes‘ Roman, wobei es ihr gelingt, nie zu sehr in eine Richtung abzudriften. Vielmehr überlässt sie es dem Leser selber zu entscheiden, welchen Ansatz er glaubt. Erfahren Sally und David tatsächlich Paranormales – oder spielt ihnen ihre Fantasie einen Streich? Mir hat diese Gratwanderung unglaublich gut gefallen, ebenso die langsame Steigerung der Vorkommnisse über den Sommer. Zwar erfüllt Hawkes das ein oder andere Klischee, und die Handlung selbst wartet mit wenigen Überraschungen auf, dafür überzeugt aber umso mehr das Innenleben und die Tiefe ihrer Figuren. Und obwohl der Roman über den Zeitraum eines Sommers spielt, so kommt doch an den entsprechenden Stellen eine herrliche Gruselstimmung auf.


Wer noch eine passende Lektüre zur Einstimmung auf Halloween sucht, wird mit Der kalte Hauch des Flieders vollends auf seine Kosten kommen! Könnt Ihr ähnliche Bücher mit parapsychologischen Elementen oder Grusellektüre allgemein empfehlen?


BUCHDETAILS | ANZEIGE

TASCHENBUCH: 507 SEITEN | ORIGINALTITEL: JULIAN’S HOUSE | EINZELBAND | AUS DEM AMERIKANISCHEN ÜBERSETZT VON  CORNELIA HOLFELDER-VON DER TANN | VERLAG: ROWOHLT (01.01.2004) | ISBN: 9783499236693 | MEINE BEWERTUNG: 3/5

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