Zwei feministische Dystopien: The Power und The Handmaid’s Tale

Was wäre, wenn unsere Gesellschaft nach anderen Regeln aufgebaut wäre? Und wie wäre es, wenn diese Umwälzung plötzlich geschehe, wie würden die Menschen darauf reagieren? Zu diesen Überlegungen habe ich in letzter Zeit gleich zwei Titel gelesen, in denen es im Kern um Feminismus geht, wobei die Geschichten selber nicht weiter davon entfernt sein könnten: Naomi Aldermans The Power sowie Margaret Atwoods The Handmaid’s Tale.

The Power | The Handmaid's Tale

Wenn die Machtverhältnisse sich umdrehen, Segen oder Fluch?

Feminismus hat viele verschiedene Ausrichtungen und Strömungen, wobei der Grundgedanke die Gleichstellung aller Menschen ohne Sexismus, Diskriminierung und ähnliches ist – konträr zu dem populären Irrglauben, dass der Feminismus einfach das Patriarchat mit dem Matriarchat ablösen will. Genau dieser Überlegung bedient sich allerdings Alderman für ihren Roman The Power: Frauen überall auf der Welt entwickeln auf einmal die Gabe Stromstöße gezielt abgeben zu können. Dank dieser Gabe sind sie Männern nicht länger physisch unterlegen, und die gewohnten Machtstrukturen geraten ins Wanken. Wie diese Gabe und ihre Auswirkungen immer mehr Wellen schlägt, wird dabei an einer handvoll Charaktere aus verschiedenen Ländern und Altersgruppen gezeigt.

One of them says, ‚Why did they do it, Nina and Darrell?‘
And the other answers, ‚Because they could.‘
That is the only answer there ever is. | The Power, S. 288

The Power war ein interessantes Gedankenexperiment, welches die derzeitigen Machtverhältnisse spiegelt und ein was-wäre-wenn-Szenario zu einer Umkehr jener zeigt. Etwas schwierig fand ich allerdings die Klammer um die Geschichte, welche immer wieder durch Einschübe zwischen den Kapiteln unterfüttert wird und erst zum Schluss Sinn erhebt. Es reißt einen nur immer wieder raus, und irgendwie hätte ich lieber eine Art Nachwort gehabt, wo Alderman kurz darauf eingeht, dass diese dystopische Welt, die sie da zeichnet, eben nicht ein angestrebtes feministisches Wunschbild ist.

Alderman gelingt es außerordentlich gut, in jeden Charakter einzutauchen und deren Motivationen, Gedankengänge und Handlungen nachvollziehbar zu machen. Man merkt allerdings, dass die Autorin sehr offensichtlich vermitteln möchte, das Macht korrumpiert: Alles fokussiert sich auf negative Aspekte und Charaktereigenschaften, und keiner der Charaktere wird einem über die Lektüre hinweg wirklich sympathisch. Dadurch klappt man The Power am Ende etwas distanziert zu, und der ein oder andere Handlungsstrang lässt etwas unbefriedigt zurück.


Eine Zukunft wie aus einem Alptraum

Wenn es in The Power um eine Ablösung des Patriarchats mit dem Matriarchat geht, so liest man in Margat Atwoods The Handmaid’s Tale über den absoluten Triumph des Patriarchats im totalitären Staat Gilead: In einer nahen Zukunft ist ein Großteil der Bevölkerung unfruchtbar, und die fruchtbaren Frauen müssen als sogenannte Mägde den Machthabern dienen und Kinder gebären. Alle anderen Frauen werden nach einem strengen System in unterschiedliche Rollen sortiert, die sich unter anderem in der Farbe der Kleidung widerspiegeln. Sie haben weder Rechte noch Besitz oder Einfluss auf ihre Umstände, wobei diese Gegebenheiten noch recht neu sind. Die erzählenden Magd, Offred, erinnert sich daher immer wieder an die Zeit davor und reflektiert, wie es zu diesem Punkt kommen konnte und man vielleicht diesen ertragen kann.

We thought we could do better.
Better? I say, in a small voice. How can he think this is better?
Better never means better for everyone, he says. It always means worse, for some. | The Handmaid’s Tale, S. 222

The Handmaid’s Tale ist eine erschreckende was-wäre-wenn Überlegung. Der Aufbau von Gilead und wie dort mit den Frauen umgegangen wird, ist einfach nur ein Alptraum und wird nur noch mehr verdeutlicht dadurch, dass Offred zur Übergangsgeneration gehört. Sie weiß noch, wie es davor war, und kann doch vermeintlich nichts an der neuen Realität verändern. Durch sie erlebt der Leser den Alltag einer Magd, wobei es auch Momente gibt, in denen die Mächtigen zeigen, wie wenig sie sich an ihre eigenen Regeln halten. Viel geschehen an sich tut nichts, aber man erhält jede Menge Denkanstöße zu Themen, die leider seit 1985 nicht viel an ihrer Aktualität verloren haben, und geht mit dem Wunsch raus, so etwas niemals Realität werden zu lassen.


Weitere Eindrücke zu The Power (dt. Die Gabe) findet Ihr bei Buchwurm, Frau Hemingway und KIMONO Books. Zu The Handmaid’s Tale (dt. Der Report der Magd) gibt es bei LIVE BREATH WORDS, Literaturblog Sabine Ibing und In Büchern leben Eindrücke.


BUCHDETAILS | ANZEIGE

THE POWER | TASCHENBUCH: 341 SEITEN | VERLAG: PENGUIN (06.04.2017) | ISBN: 978-0670919963| MEINE BEWERTUNG: 2/5
THE HANDMAID’S TALE | TASCHENBUCH: 324 SEITEN | VERLAG: VINTAGE CLASSICS (07.10.2010) | ISBN: 978-0099511663 | AUF DEUTSCH IST DAS BUCH UNTER DEM TITEL DER REPORT DER MAGD ERSCHIENEN, MITTLERWEILE GIBT ES MIT THE TESTAMENTS (DT. DIE ZEUGINNEN) ZUDEM EINE FORTSETZUNG. | MEINE BEWERTUNG: 3/5

Ein Gedanke zu “Zwei feministische Dystopien: The Power und The Handmaid’s Tale

Hinterlasse eine Antwort zu Rückblick | Lesemonat Mai 2020 Antwort abbrechen

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