[Gelesen] Marx. Der Unvollendete

Rezensionsexemplar | Der Mann mit dem Rauschebart, ein Gespenst, welches zweihundert Jahre nach seiner Geburt noch immer in den Köpfe der Menschen umgeht: Karl Marx. Wie definiert man diesen Mann? Als einen der letzten Universalgelehrten, Philosophen, Visionär, Revolutionär, Querkopf, Kommunist…? Wird man ihm damit gerecht? Von sich selbst sagte Marx, er sei kein Marxist, so fällt zumindest dieser Begriff schon einmal weg. Trotzdem, kein leichtes Unterfangen, welches Jürgen Neffe da in seiner Biografie Marx. Der Unvollendete anstrebt.

2 - Marx Der Unvollendete
Vielen Dank an C. Bertelsmann für das Rezensionsexemplar!
Die biografische Zeitmaschine

Ein Leben adäquat darstellen – puh! Die meisten von uns wissen wahrscheinlich, wie schwer schon allein die Zusammenstellung eines Lebenslaufs ist und in einer Biografie werden diese reinen Fakten ja noch textlich aufbereitet, erklärt und in Zusammenhang gebracht. Kein Mensch steht für sich alleine oder außerhalb der Zeit, auch Marx nicht. Ich muss zugeben, dass mich im ersten Moment die Seitenzahl von 656 Seiten beinahe erschlagen hat, aber in Hinblick auf den Inhalt relativiert sich dies schnell: Jürgen Neffe schmeißt seine „biografische Zeitmaschine“ (S. 261) an, und erzählt Leben und Werk Karl Marx‘ in 34 Kapiteln. Zu weiten Teilen lesen sich diese Kapitel wie eigenständige Texte, was dazu einlädt, einfach das Buch an den entsprechenden Stellen aufzuschlagen und direkt drauf los zu lesen oder nur bestimmte Dinge nachzuschlagen. Allein das 8. Kapitel beschäftigt sich in 38 Seiten mit dem Frühwerk und der „Entwicklung der Marxschen Gedankenwelt“, wobei es in einzelnen Abschnitte wie „Arbeit und Entfremdung“ oder „Kollektiv und Plan“ unterteilt wird. Ähnliches gilt für das 23. Kapitel zum Kapital, welches 86 Seiten mit Abschnitten wie „Aus Geld wird Kapital“ oder „Postkapitalismus“ umfasst.

Persönlich und doch objektiv

Neffe rollt die Biografie quasi von hinten auf: Zuerst nimmt er die Leser mit auf den Highgate Cemetry in London, wo sich das Grab von Marx befindet, bevor es chronologisch mit dem Leben los geht. Die unterschiedliche Art der Verehrung, wie man sie zum Beispiel beim Denkmal auf dem Friedhof oder in der Geburtsstadt Trier findet,  arbeitet Neffe dabei sehr organisch in den Text ein. Generell ist das Zusammenspiel von persönlichem und objektiven für mich in dieser Biografie sehr gelungen, da Neffe durchweg mal persönliche Einsichten einfließen lässt, diese aber erkennbar bleiben. Denn eine Biografie wird nicht nur von dem Lebenslauf der betroffenen Person beeinflusst, sondern auch vom Biografen selbst. Das macht die Biograf sehr gut lesbar, gerade für Laien, die noch nie mit Marx in große Berührung gekommen sind. Schon mal mit der Lehre Hegels auseinandergesetzt? Oder eine Ahnung vom Wirken von Feuerbach? Falls nicht, ist das ebenfalls kein Problem, denn wenn etwas oder jemand einen Einfluss auf das Leben, Denken und Wirken von Marx hat, so erläutert Neffe dies. Dadurch lernt man im Verlauf der Lektüre nicht nur viel über Marx selbst, sondern auch über weitere Personen und Einflüsse seiner Zeit. Unterstützt wird dies immer wieder durch gut ausgewählte Zitate aus Schriften oder direkten Zeitzeugenberichten.

Mal Weiser, mal Wüterich, hier zurückhaltend, dort zupackend, guter Vater, schlechter Vater: gelebte Dialektik, wenn man so will. Erst im Zusammenspiel der Extreme ergeben seine vielen Ichs die vollständige Figur. […] Zum Menschen Marx aus Fleisch und Blut, das geht im Denkmalstreit zu häufig unter, gehört ein großes Herz, das nicht nur als Pumpe lebenserhaltend wirkt. Er war gewiss kein einfacher Ehemann, wer ist das schon, aber ein guter Gefährte, vielleicht gelegentlich untreu, aber niemals treulos. | Seite 23-24

Dauerbrenner

Braucht es denn solch einen dicken Schinken von Biografie überhaupt? Ist Marx zweihundert Jahre nach seiner Geburt überhaupt noch aktuell? Neffe kommt ganz klar zu dem Fazit, dass Marx und seine Ideen aktueller sind denn je und nach dem Lesen dieser Biografie würde ich mich diesem auf alle Fälle anschließen. Aber auch wenn man keine Relevanz für das aktuelle Zeitgeschehen für sich aus dieser Biografie ziehen kann, so ist allein das Leben von Marx spannend und abenteuerlich genug, um erzählt zu werden. Der Mann, der übers Kapital schrieb und selber nicht haushalten konnte, staatenlos, aber immer am Puls der Zeit – immer noch ein Dauerbrenner und eine Persönlichkeit, die die Weltgeschichte immens beeinflusst hat. Neffe schafft es, diesen Mann in all seiner Widersprüchlichkeit und Facettenreichheit einzufangen und dem Leser zugänglich zu machen. Eine zehnseitige Bibliografie und ein Register runden die Biografie ab.


Weitere Eindrücke zum Buch findet Ihr auf dem Blog rezensions-seite von Michael Lehmann-Pape, sowie in den Rezensionen von Elke Heid-Paulus und Manfred Orlick. Zum 200. Geburtstag von Karl Marx erscheinen mehrere Beiträge auf meinem Blog. Eine Übersicht über alle Beiträge findest du H I E R.


BUCHDETAILS | ANZEIGE

HARDCOVER: 656 SEITEN | 16 S. FARBIGER BILDTEIL | VERLAG: C. BERTELSMANN VERLAG (11.09.2017) | ISBN: 978-3570102732 | EBENFALLS ALS HÖRBUCH ERHÄLTLICH

[Leseplan] April 2018

Der Monat ist schon wieder rum, wie schnell das gerade alles geht! Hier auf dem Blog war es leider etwas still, da doch ein paar andere Dinge Priorität hatten –  aber dafür ist der April schon gut vorbereitet! Und auch für den Mai ist schon etwas in Planung, was direkt in diesen Leseplan einfließt: Am 5. Mai 2018 jährt sich der Geburtstag von Karl Marx zum 200. Mal. Passend dazu wird es eine Art Thementag bei mir geben, zu dem mehrere Beiträge über den Tag verteilt erscheinen. Ich freu mich da schon sehr drauf, aber nun erstmal zu den Titeln, die ich im April lesen mag:

  • Jürgen Neffe: Marx. Der Unvollendete
    Im letzten Herbst (2017 hat sich übrigens die Publikation von ‚Das Kapital‘ zum 150. Mal gejährt) ist diese Marx-Biografie erschienen. Mit über 600 Seiten schon ein Wälzer, aber die ersten Kapitel gefallen mir schon recht gut. Diesen Titel möchte ich unbedingt im April beenden, damit ich euch genaueres am 5. Mai drüber berichten kann.
  • Wlada Kolosowa: Fliegende Hunde
    Mein Spontankauf aus dem März – ich wollte schon länger mal ein Buch aus dem Ullstein fünf Programm lesen und dieses hier fällt genau in mein Beuteschema. Am liebsten hätte ich mit der Geschichte von Oksana und Lena bereits begonnen, aber vernünftigerweise mussten erst noch ein paar angefangene Bücher beendet werden… jetzt aber!
  • Ursula Poznanski: Die Vernichteten (Die Verratenen #3)
    Die Verratenen-Trilogie lese ich im Rahmen des Traveling Book Projects Germany und endlich war Zeit und Gelegenheit, dass der letzte Band zu mir kommt. Band 1 und 2 haben mir super gefallen – mal sehen, wie es jetzt um Ria ausgeht.
  • Laline Paull: Das Eis
    In der Arktis wird der Leichnam eines Polarforschers gefunden. Was ist mit ihm geschehen? Und welchen Anteil daran hat sein bester Freund und Geschäftspartner, der ihn als letztes lebend gesehen hat? Die Arktis finde ich nicht zuletzt dank Everland als Schauplatz faszinierend, und freue mich, noch einen Roman mit diesem in Das Eis gefunden zu haben.
  • Tahereh Mafi: Ich fürchte mich nicht (Shatter Me #1)
    Die Reihe steht bereits länger im Regal und wartet auf ihren Einsatz – da passt es ganz gut, dass ich an einer kleinen Leserunde zu Ich fürchte mich nicht im April teilnehmen kann.

Leseplan | April 2018

“A half-read book is a half-finished love affair.” ― David Mitchell: Cloud Atlas

Bücher, Bücher! Neuzugänge im September 2017

Der Sommer ist vorbei, genauso wie der September. Mich freut das, denn der Herbst ist definitiv meine liebste Jahreszeit – nicht zuletzt, da jede Menge tolle neue Bücher erscheinen und ich auch viel mehr Zeit zum Lesen finde. Gerade letzteres kann ich wirklich gut gebrauchen… genug spannende Bücher warten auf jeden Fall schon auf mich! Neben drei vorbestellten Titeln, die jetzt endlich erschienen sind, kam noch eine Buchbox und vier Rezensionsexemplare an – spontan gekauft habe ich tatsächlich nur sieben Bücher. Immer noch eigentlich sechs Stück zu viel, aber ich bessere mich eben im Schneckentempo. Im Oktober wird es noch einmal eskalieren und danach werden hier etwas andere Seiten aufgezogen… aber dazu an anderer Stelle mehr ;)

Neuzugänge September 2017Kasie West: PS: Ich mag dich / Andrés Neuman: Traveller of the Century / Gaito Gazdanov: The Flight / Gesa Schwartz: Scherben der Dunkelheit / Isaac Asimov: Die Foundation Trilogie / Kathryn Ormsbee: Tash Hearts Tolstoy / Jay Kristoff: Godsgrave / Catherynne M. Valente: The Glass Town Game / Sarah Perry: Die Schlange von Essex / Leigh Bardugo: Wonder Woman: Warbringer / Emma Mills: Nicht nur ein Liebesroman / Stefan Bachmann: A Drop of Night / Terry Pratchett: Guards! Guards!Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher / Jürgen Neffe: Marx. Der Unvollendete

“Lesen, lesen, immer nur lesen und darüber die eigene erbärmliche Existenz vergessen!” ― Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher