[Leseprojekt] One Year War and Peace – der Abschluss

Ich lese viel, ich lese relativ schnell: Bewusst langsam zu lesen ist da eine ganz eigene Herausforderung. Mit dem russischen Klassiker War and Peace (dt. Krieg und Frieden) von Leo Tolstoy habe ich aber genau das in 2016 gemacht: Fast ein ganzes Jahr lang habe ich die Charaktere durch die Höhen und Tiefen der Jahre 1805 bis 1820 begleitet. Die Idee dazu hatte ich dank Matthew Hodges Artikel und finde es im Rückblick wirklich eine super Lösung, um dieses Werk auch tatsächlich durchzulesen. Denn egal, ob 1068, 1536, 1645 Seiten je nach Ausgabe… War and Peace ist unumstritten ein langer Klassiker.

Die Handlung entwickelt sich rund um die russischen Adelsfamilien Rostov, Bezukhov, Bolkonsky und Kuragin, deren Wege sich immer wieder auf die verschiedensten Arten über die Jahre kreuzen. Der Hauptteil ist dabei im Jahr 1812 angesiedelt, in dem Napoleon in Russland einmarschiert. Wie der Titel schon erahnen lässt, geben weite Teile des Buches dabei die russisch-napoleonischen Kriege wieder, vor allem die Schlachten bei Austerlitz sowie Borodino, während andere Teile die Gesellschaft zu Zeiten des Friedens wiederspiegeln. Tolstoy verwebt in seinem Buch dabei tatsächliche historische Begebenheiten und Fiktion gekonnt zu einem kohärenten Ganzen. Gut 600 Charakteren begegnet man im Laufe der Handlung, darunter einer Vielzahl realer Personen.

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„Here I am alive, and it’s not my fault, so I have to try and get by as best I can without hurting anybody until death takes over.“

War and Peace zählt nicht ohne Grund zu den bedeutendsten Werken der Weltliteratur und lässt einen als Leser nicht so schnell wieder los. Es werden so unglaublich viele Aspekte des Lebens in diesem Buch wiedergegeben und man findet sich zwangsläufig in dem ein oder anderen Charakter wieder. Im Laufe von fünfzehn Jahren verändern sich die Familienmitglieder, die man primär als Leser begleitet, natürlich; man leidet und freut sich mit ihnen. Tolstoy vermeidet gewohnte Handlungsabläufe, es gibt unter anderem nicht den einen Hauptcharakter, um den die Geschichte kreist. Weite Teile des Buches lesen sich fast wie das echte Leben und das ist sicherlich eine der großen Leistungen des Autors. Ich möchte nicht zu sehr über die Schicksale der einzelnen Personen schreiben, da man vieles wirklich lieber selbst beim Lesen entdecken sollte. Für mich ist und bleibt Pierre Bezukhov allerdings der spannendste Charakter und ich liebe seine Entwicklung! Was klassische Buchhelden anbelangt, würde ich ihn definitiv vor Mr Darcy setzen – wirklich, allein die eine Unterhaltung mit Natasha ist unglaublich bezeichnend für diesen Charakter.

Man muss zwar etwas Zeit für dieses Buch aufbringen, aber ich kann euch War and Peace nur empfehlen. Selbst wenn man kein großes Interesse an den historischen Hintergründen hat, das Buch setzt sich mit so vielen Fragen und Themen des Lebens auseinander, die auch heute noch relevant sind. Das kann so etwas profanes wie die erste Liebe sein, genauso aber auch der Umgang mit einem Demenzerkrankten, der unerwartete Tod eines Familienmitglieds oder die Frage, was man eigentlich mit seinem Leben anfangen will.

Zum Abschluss noch ein paar Ratschläge, falls ihr ebenfalls War and Peace lesen mögt:

  • Falls ihr generell nichts gegen Ebooks und co. habt, lest erst einige Kapitel so, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob es überhaupt was für euch ist.
  • Besorgt euch eure Ausgabe erst kurz bevor ihr mit dem Lesen anfangen wollt. Wenn der dicke Klassiker erst mal im Regal steht, steht er da vermutlich eine ganze Weile und starrt euch vorwurfsvoll an. Vielleicht hat sogar jemand im Bekannten- oder Verwandtenkreis eine Ausgabe, die ihr leihen könnt?
  • Es gibt viele verschiedene Editionen und Übersetzungen des Textes. Achtet darauf, ob ihr eine Ausgabe erwischt, in der die französischen Abschnitte übersetzt oder nicht übersetzt werden – und ob die Übersetzung in Fußnoten oder in Notizen am Ende des Buchs zu finden sind.
  • Stammbäume sind mit Vorsicht zu genießen, da sie Spoiler enthalten werden.
  • Es gibt Zusammenfassungen im Netz zu den Kapiteln, was hilfreich ist, wenn man mal etwas nicht ganz verstanden hat. Die von SparkNotes und CliffsNotes sind unter anderem super!
  • Es gibt meist eine russische und eine französische Form des Namens plus Spitznamen, aber da kommt man rasch hinter. Wer es nicht kennt: Russische Namen setzen sich zusammen aus Vorname, Patronym und Familienname.

BUCHDETAILS | ANZEIGE

Verlag: Penguin | ISBN: 0141025115 | Erscheinungsdatum: 2006

Verlag: Oxford World’s Classics | ASIN: B005X3S9J8  | Erscheinungsdatum: 14.10.2010

Verlag:
Vintage Classics | ISBN: B005X3S9J8 | Erscheinungsdatum: 05.01.2017

Bewertung: 5/5

[Leseprojekt] One Year War and Peace – Juni

Halbzeit! Ein bisschen stolz macht es mich ja schon, dass ich das Buch weder bislang abgebrochen habe, noch ellenlang mit den Kapiteln hinterherhinke. So langsam kennt man die Hauptcharaktere und findet sich in der Geschichte auch gut zurecht.w+p-jun16.jpg

Angefangen hat die Handlung ja in 1805, mittlerweile sind wir in 1812 angekommen. Der Komet Flaugergues bzw. Große Komet von 1811 kündigt schon Unheil an – und dieses trifft sowohl in der feinen Gesellschaft in Moskau ein, als auch an den Landesgrenzen. Die Geschehnisse, die im Musical Natasha, Pierre and the Great Comet of 1812 verarbeitet sind, nehmen ihren Lauf und es ist vermutlich mein liebster Handlungsstrang bisher!

Der Fall von Natasha ist sehr spannend, zumal man die verschiedenen Seiten als Leser sieht, und vor allem auch, was passiert, wenn die ganze Sache auffliegt. Ein wenig schockiert hat es mich dennoch, als Marya Dmitrievna das Wort „slut“ in den Mund genommen hat… Aber es verdeutlicht gut die Tragweite der Ereignisse. Wenig überraschend kommen Anatole und seine Schwester auch dieses Mal so gut wie ungeschoren davon – wobei mich die Reaktion von Andrei am meisten überrascht hat. Pierre dagegen hat zwar seine Macken, aktuell ist er aber der Charakter, der mir am meisten gefällt. Ich kann seine Entwicklung gut nachvollziehen, und finde ihn einfach furchtbar sympathisch!

Each man lives for himself, using his freedom to attain his personal aims, and feels with his whole being that he can now do or abstain from doing this or that action; but as soon as he has done it, that action performed at a certain moment in time becomes irrevocable and belongs to history, in which it has not a free but a predestined significance.

There are two sides to the life of every man, his individual life, which is the more free the more abstract its interests, and his elemental hive life in which he inevitably obeys laws laid down for him.

Man lives consciously for himself, but is an unconscious instrument in the attainment of the historic, universal, aims of humanity. A deed done is irrevocable, and its result coinciding in time with the actions of millions of other men assumes an historic significance. The higher a man stands on the social ladder, the more people he is connected with and the more power he has over others, the more evident is the predestination and inevitability of his every action.

„The Tsar’s heart is in the hands of the Lord.“

A Tsar is history’s slave.

History, that is, the unconscious, general, hive life of mankind, uses every moment of the life of kings as a tool for its own purposes.

Zum Ende des Monats ist das Buch wieder in Richtung Krieg gewandert: Napoleon marschiert gen Osten und steht quasi schon auf russischem Gebiet. Diese Segmente finde ich zwar immer nicht so interessant, aber nach all dem Drama, Opern und Liebesbekundungen muss die Handlung ja mal wieder umschwenken.

[Leseprojekt] One Year War and Peace – April

Im April gab es zwar wieder einen Abstecher zum Militär, aber dieser hielt sich Gott sei Dank etwas zurück. Mittlerweile kennt man die Hauptcharaktere schon etwas, und kann sie etwas einschätzen. Nikolai und Pierre nerven mich furchtbar, Andrei und die restlichen Rostovs finde ich sehr spannend. Wobei ich es bei allen Charakteren genieße, dass man nicht vorhersehen kann, wo die Reise für sie hingeht! Bei den Rostovs habe ich im Moment einen leisen Verdacht – die Männer der Familie können einfach nicht mit Geld umgehen – aber das Blatt könnte sich durch die Töchter ja relativ schnell wieder drehen (ein Teil von mir fände Natasha/Andrei ja ein schönes Paar..).

wap.jpgDie ganze Freimaurergeschichte bleibt diffus und unklar. Am Anfang fand ich diesen Aspekt spannend, gerade weil es immer sehr diffus um diese Gruppierung ist – aber Pierre’s Erkenntnisse überraschen mich nicht sonderlich. Ein etwas hochstilisierter Herrenclub mit Tamtam drum. Joa, gut. Hoffentlich müssen wir uns nicht zu lange weiter damit rum schlagen.

Es wechseln sich weiterhin unterhaltende Stellen mit irre langweiligen Passagen ab, sodass ich immer wieder froh bin, es bewusst so langsam zu lesen. Das Ende des Abschnitts für diesen Monat versprach zudem einen Ballbesuch, und ich liebe es, wenn die feine Gesellschaft aufeinander trifft!